„Habt Ihr eigentlich auch schon eine App?“ ist mittlerweile wohl die Standardfrage auf den Abendveranstaltungen der zahlreichen Branchentreffen. Jeder will sie. Sie soll dem Kunden in allen Lebenslagen helfen. Sie ist quasi das „Schweizer Taschenmesser“ im Leben des Kunden. Und so ein Schweizer Taschenmesser hilft einem in jeder Lebenslage und ist ein unersetzlicher Begleiter in allen Situationen. Apropos, haben Sie eigentlich gerade ein Schweizer Taschenmesser bei sich?…

…und falls Sie wirklich gerade eins bei sich haben, ist es ein Werbegeschenk, bei dem Sie bei jedem Gebrauch an das werbende Unternehmen denken? Denn die Frage muss erlaubt sein: Was bringt so eine App eigentlich für den Versorger? Unbestritten kann eine lokal bzw. regional ausgerichtete App dem Kunden einen Mehrwert stiften. Sie erlaubt es freie Parkplätze zu finden, Busfahrpläne abzurufen oder den lokalen Veranstaltungskalender zu durchsuchen. Das ist alles unbenommen. Aber wird Sie den Nutzer auch davon abhalten, seinen Energievertrag zu kündigen oder gar dazu bringen, den Versorger weiterzuempfehlen? Oder wird es Konsumenten geben, die zu dem Versorger mit der besten App wechseln? Ich bin da noch sehr skeptisch.

Insbesondere deswegen, weil diese Apps kaum Nutzen stiften, der nicht auch durch andere Apps bereits abgedeckt wäre. Hinzu kommt, dass die jeweiligen Anbieter häufig schon am Markt etabliert sind. Die Versorger-App muss also diese Anbieter zunächst mal aus der Favoriten-Liste der Nutzer verdrängen. Das gelingt aber nur, wenn entsprechend Werbung für diese App betrieben wird.

Nun habe ich diese Diskussion durchaus schon häufiger mit Marketing- und Vertriebsverantwortlichen geführt. Nach dem Erläutern meiner Skepsis kommt dann häufig der Einwand: Aber es ist besser als nichts zu tun und schaden wird es auch nicht. Stimmt, aber nur zum Teil. Denn das Einführen einer App steht ja – hoffentlich – nicht im Gegensatz zu der Alternative nichts zu tun. Also muss die Frage lauten: Kann ich mit den für eine App verwendeten Ressourcen (Implementierung, Pflege, Kommunikation) Maßnahmen durchführen, die eventuell stärker auf meine Zielerreichung einzahlen? Zumindest muss sie aber lauten: Welchen Wirkmechanismus unterstelle ich dieser App, um einen Beitrag zu meinen Marketing-Zielen zu leisten?

Ist die Antwort darauf: „Der Kunde sieht jedes Mal, wenn er die App nutzt, mein Logo.“ Dann – sorry – wirkt die App nicht besser und nicht schlechter als ein Werbegeschenk. In diesem Fall wäre sie aber ein sehr teures Werbegeschenk, wobei fraglich ist, ob der Kunde diesen Wert erkennt. Aber es gibt auch Beispiele, wie eine solche Integration der App in die Nutzenwelt der Kunden gelingen kann. Allerdings muss ich dafür auf andere Branchen ausweichen. So bietet die HanseMerkur Versicherung eine App an, mit der man – als Privatpatient – seine Rechnungen ganz einfach einscannen kann und sich somit den Schriftverkehr bei der Abrechnung spart. Bei der Bahn kann ich nicht nur die Zugverbindung heraussuchen und buchen, sondern ich spare mir auch den Ausdruck eines Tickets. Bei diesen Apps hat der Kunde wirklich das Gefühl, dass das jeweilige Unternehmen ihm mit der App einen echten Mehrwert stiftet. Solche Ansätze lassen sich scheinbar bisher in der Energiewirtschaft nicht finden (vgl. auch Mobile Stadtwerke-Welt).

So kann ich Sie nur ermutigen, dem App-Trend zu widerstehen. Zumindest so lange, bis Sie einen Wirkmechanismus gefunden haben, mit dem die App das Erreichen Ihrer Kundenziele unterstützt. Denn so eine App verschlingt meist mehr Zeit und Geld als gedacht – und das lässt sich sicher auch an anderer Stelle zielführend einsetzen.

Published On: 01. August 2014 / Kategorien: Blog, Marke & Kommunikation, Marketing / Schlagwörter: , , , , , /

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